Von Kabul nach Liestal: Interview mit unserer Lernenden Sivita Hajizadeh

Sivita Hajizadeh ist 19-jährig und stammt aus Kabul in Afghanistan. 2018 flüchtete ihre Familie in die Türkei, wo sie rund fünf Jahre lebten. Seit 2022 wohnt Sivita Hajizadeh mit ihrer Mutter und Schwester in der Schweiz und besucht das Integrationsjahr in der Berufsschule Solothurn-Grenchen (BBZ). Seit März 2025 absolviert sie beim Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) in Liestal ein Praktikum und wird im August 2025 eine Lehre als Dentalassistentin EFZ antreten.

Nachfolgendes Interview führte das BAZG:

Frau Hajizadeh, Sie stammen aus Afghanistan und leben seit 2022 in der Schweiz. Wie gefällt es Ihnen in der Schweiz? Was vermissen Sie?

Was mir aufgefallen ist, dass die Menschen sehr nett und offen sind. Die Lebensqualität in der Schweiz ist viel besser, und was mir auch sehr gefällt ist die Natur, vor allem die Berge und Wälder und die saubere Luft. Ausserdem ist die Schweiz für alle Religionen offen und Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Es gibt hier politische Freiheit und ich denke, dass der Umgang in der Familie zwischen Eltern und Kindern offener ist. Hier kann man mit 18 selber entscheiden, was man will. Das ist in Afghanistan nicht so, dort entscheidet vor allem der Vater. Was ich hingegen vermisse, ist meine Heimatstadt Kabul, wo meine Verwandten leben und auch meine Freundinnen und Freunde von früher.

Wie erleben Sie die Situation in Afghanistan von der Schweiz aus gesehen?

Ich mache mir Sorgen um die Sicherheit meiner Familie und vor allem um die Frauen. Ich versuche, Kontakte zu behalten, so gut es geht. Manchmal geht es mit dem Handy, aber per E-Mail ist es sehr schwierig. Die Infrastruktur in Afghanistan ist nicht gut. Ich hoffe, dass sich die Lage irgendwann einmal verbessert und wünsche mir Frieden für mein Land.

Sie sprechen Dari, Persisch und Türkisch und können auch Arabisch lesen. In den letzten knapp drei Jahren in der Schweiz haben Sie intensiv Deutsch gelernt und bereits das Niveau B1 erreicht. Was waren die Schwierigkeiten, die deutsche Sprache zu lernen und wie haben Sie das geschafft?

Als ich in die Schweiz gekommen bin, habe ich gar nichts verstanden und ich hatte das Gefühl, dass ich viel Zeit brauchen werde, um die deutsche Sprache zu lernen. Mir war klar, dass ich Deutsch lernen muss, wenn ich in der Schweiz leben will. Ich konnte früher auch kein Türkisch und habe diese Sprache in der Türkei im Alltag gelernt, da ich dort nicht zur Schule gehen konnte. Das hat mich motiviert. Wie in der Türkei, habe ich auch in der Schweiz den Kontakt zu den Menschen gesucht und so im Alltag geschafft, mein Deutsch zu verbessern. Gelernt habe ich Deutsch aber vor allem im Integrationsjahr im Berufsbildungszentrum in Solothurn. Im Moment bin ich an dieser Schule auch dabei, das Niveau B2 zu erreichen und mein nächstes Ziel wäre es, Französisch zu lernen, das ich als Zweitsprache in der Schweiz wichtig finde.

Sie haben die Grundschule in Kabul besucht und haben fünf Jahre in der Türkei gelebt. Nun besuchen sie das Integrationsjahr an der Berufsschule in Solothurn. Wie erleben Sie den Schulalltag in der Schweiz? Wo sehen Sie Unterschiede, wo Gemeinsamkeiten?

Wenn man in Afghanistan einen höheren Schulabschluss machen will, muss man eine Privatschule besuchen. Diese kosten aber viel Geld und die meisten Menschen können das gar nicht bezahlen. Die staatlichen Schulen funktionieren nicht so gut, das gesamte Schulmaterial muss man selber kaufen, die Schulbücher sind auch sehr alt und nicht mehr aktuell. Zudem ist der Umgang mit den Schülerinnen und Schülern überhaupt nicht respektvoll. Im Schulalltag spürt man die Spannungen zwischen den unterschiedlichen Ethnien in Afghanistan. Im Moment dürfen Mädchen ja gar nicht mehr zur Schule. Ich sehe überhaupt keine Gemeinsamkeiten mit den Schulen in der Schweiz. Und ich bin froh, dass es in der Schweiz anders ist als in Afghanistan.

Seit März 2024 absolvieren Sie ein Praktikum im Campus BAZG in Liestal, jeweils an zwei Tagen pro Woche in der Administration und in der Planung. Was gefällt Ihnen dabei besonders, was sind die Herausforderungen?

Ich sehe im Campus viele interessante Sachen, die ich bisher noch nie gesehen habe. Zum Beispiel konnte ich die Ausbildung der Aspirantinnen und Aspiranten beobachten. Ich habe viel gelernt über die Regeln und Gesetze in der Schweiz und es kommt immer etwas Neues dazu und ich lerne immer wieder neue Menschen kennen. Der Kontakt mit Menschen ist mir wichtig, auch um mein Deutsch weiter zu verbessern. Besonders gefallen mir Aufgaben, bei welchen man planen und organisieren muss. Zu Beginn war es vor allem schwierig zu wissen, wo welche Dokumente abgelegt sind.

Im August 2025 werden Sie eine Lehre als Dentalassistentin EFZ beginnen können, was Ihr erstes Berufsziel ist. Vorher hatten Sie die Möglichkeit, auch in anderen Berufen zu schnuppern. Was denken Sie über das System der Berufsbildung in der Schweiz?

Ich finde das System in der Schweiz toll und es hilft sehr, sich für den richtigen Beruf zu ent-scheiden. Man hat viele Möglichkeiten, verschiedene Berufe kennen zu lernen und sich weiter zu entwickeln. Ich selbst habe in verschiedenen Berufen geschnuppert und Praktika gemacht, was mir geholfen hat, mich zu entscheiden. In meinem Land kann man zum Beispiel nicht einfach schnuppern gehen oder ein Praktikum machen. Die meisten Personen, welche die Schule abschliessen, gehen an eine Universität. Alle anderen besuchen entweder eine Berufsschule oder arbeiten als Hilfsarbeiter. Das ist aber erst seit einigen Jahren so und wurde von der UNICEF aufgebaut.

Sie sind 19-jährig und werden demnächst eine Berufslehre absolvieren. Haben Sie schon Vorstellungen davon, wie es danach weitergehen soll? Wo sehen Sie sich in 10 Jahren?

Nach meiner Lehre als Dentalassistentin würde ich gerne weiter machen. Mich interessieren medizinische Berufe sehr. Das liegt vielleicht auch in der Familie. Ich habe Verwandte, die Dentalassistentin gelernt haben, Hebammen oder Apotheker. Mich würde aber auch ein Beruf bei der Polizei oder beim Zoll interessieren. Ich weiss, dass das im Moment noch nicht möglich ist, aber in 10 Jahren kann viel passieren.

Möchten Sie zum Schluss noch etwas sagen?

Es gibt einen arabischen Ausdruck Wort, «Yallah, Yallah», was so viel bedeutet wie «Auf geht’s» oder «Vorwärts». Das ist mein Motto. Ich finde, wenn man in die Schweiz kommt und etwas erreichen will, das auch schaffen kann. In der Schweiz hat man viele Möglichkeiten sich auf Berufe vorzubereiten und Berufe zu lernen. Dafür muss man motiviert sein und ein Ziel haben. Wichtig ist, Kontakt mit den Menschen in der Schweiz zu haben und so rasch wie möglich die Sprache zu lernen und unabhängig zu werden. Man sollte keine Angst haben, etwas falsch zu machen. Das habe ich von meiner Mutter gelernt, die mich immer motiviert hat. Und ich sage, alle Leute in der Schweiz können erreichen, was sie sich wünschen, wenn sie es wirklich wollen und sich anstrengen.

 

Autor: Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit BAZG, Berufe und Integration beim Schweizer Zoll